Biographie schreiben

Biographien werden sehr häufig nicht von den Betroffenen, sondern von einem Ghostwriter oder einem eigens dafür angestellten Biographen verfasst. Immerhin soll die Biografie ja hohen schriftstellerischen Ansprüchen genügen – darum werden dafür oft fähige Autoren verpflichtet.

Auch die machen aber nicht immer in allen Fällen alles richtig.

Das Bedeutungslose vom Bedeutungsvollen trennen

Wer mit den Erzählungen aus einem ganzen Leben konfrontiert wird, muss erst einmal sortieren. Gerade Menschen, die sich an ihre Biographien machen, haben oft genug ohnehin schon eine unglaubliche Menge erlebt, und damit auch eine Menge zu erzählen. Bei weitem nicht alles ist aber von Bedeutung – auch wenn es demjenigen bedeutsam scheint.

Wichtig ist, alle Fakten und Begebenheiten immer im Lichte des größeren Ganzen zu sehen. Stationen und Wendepunkte zu finden, nicht nur in den äußeren Umständen, sondern vor allem in den inneren Haltungen. Die Punkte zu finden, an denen das Opfer des Biografen tatsächlich ein anderer Mensch geworden ist.

Wer seine eigene Biografie schreibt, hat es da sogar noch schwerer – man muss schon sehr viel über sein eigenes Leben reflektieren, und es aus einer gehörigen Distanz betrachten können, um tatsächlich einen Blick für das Ganze zu bekommen.

Vielleicht ist aber auch genau das der Sinn, warum so viele Menschen in vorgerückten Lebensjahren plötzlich anfangen, an ihrer Autobiografie zu schreiben. Vielleicht nur wegen des Nachdenkens.

Halten Sie sich immer vor Augen: Wenn jemand etwas aus dem Zweiten Weltkrieg erfahren möchte, liest er eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Wenn jemand etwas vom Vietnamkrieg erfahren möchte, liest er über den Vietnamkrieg.

Die Menschen, die eine Biografie von Werner X. lesen, sind allein an Werner X. interessiert. Darin liegt die Spannung. Menschen interessieren sich viel mehr für Menschen als für zeitgeschichtliche Begebenheiten – insbesondere dann, wenn sie diese Begebenheiten entweder ohnehin schon in groben Zügen kennen, oder sowieso keine Ahnung davon haben.

Dann hört man höchstens ein „Kraass…!“ aber echte Begeisterung entsteht nicht. Und damit ist auch die Spannung und der Leseanreiz verschenkt. Sofern die Biografie überhaupt zu diesem Zweck geschrieben wird, damit sie jemand liest. Bei den meisten Biografien ist das aber der Fall.

Zu nahe und zu distanziert

Es ist die Sympathie – oder die Antipathie – die uns bei Biografien fesselt. Wir wollen den Menschen verstehen, ihn ergründen und erfahren, was im Laufe seines Lebens so in ihm vorging.

Was um ihn herum passierte, interessiert uns dagegen viel weniger. Wenn nicht gerade er es war, der den Zweiten Weltkrieg auslöste, wollen wir davon eigentlich gar nichts wissen.

Und selbst dann interessiert uns mehr, was für ein Mensch er war, als was er tatsächlich bewirkt hat. Gleichzeitig wollen wir diesem Menschen aber auch nicht zu nahe kommen – wir wollen eine gewisse schützende Distanz behalten. Wir wollen nicht alle seine Gefühle bis ins Detail kennen, das ist uns unangenehm.

Er soll uns nicht erzählen, jedenfalls nicht im Detail, wie er jeden Tag gebeutelt von Liebe und Eifersucht mit sich gekämpft hat, ob er diese Frau heiraten soll. Das ist uns dann schon ein bisschen zu intim.

Darauf möchten wir lieber verzichten. Und wenn er diese Frau dann sowieso nicht geheiratet hat, das Ganze im Gesamtzusammenhang seines Lebens keine Bedeutung hatte, dann hätte er es uns auch gar nicht erst erzählen brauchen. Wir wollen nur wissen, wo es anfing, und wo es hinführte. Das muss ein stimmiges Ganzes sein.

Die Prämisse ist damit bei Biografien ein noch viel tragenderer und substanziellerer Teil als bei Romanen, obwohl sie dort auch schon grundlegend ist. Bei Biografien muss sich ihr aber wirklich alles radikal unterordnen.

Wenn man diese Punkte im Auge behält, ist das Schreiben von Biografien nicht so schwer – insbesondere das Schaffen der Prämisse, und das konsequente Umsetzen der Prämisse in der Gestaltung kann aber oft schwierig werden.

Und auch Widerstand erzeugen. Die meisten professionellen Biografie-Schreiber können damit aber gut umgehen.